ERWACHSENEN-INSTRUMENTALUNTERRICHT

 

 

Es ist nie zu spät, da es um die Musik geht!

Hinsichtlich der Rezeption und Ausübung von Musik wirken die Massenmedien in zweifacher Hinsicht: Einerseits erziehen sie zu passivem Konsumieren, andererseits motivieren sie zu musikalischer Eigenaktivität. So ist zu beobachten, dass neben dem weitaus größeren Teil Erwachsener, die Musik vorwiegend passiv in den Medien konsumieren, auch immer mehr Menschen das Bedürfnis haben, Musik selbst auszuüben und sie angemessen zu hören und zu erleben. Entsprechend der Vielfalt, mit der sich Musik in den Medien darstellt, verbinden auch die Erwachsenen die unterschiedlichsten Vorstellungen mit ihrem Wunsch nach musikalischer Eigentätigkeit.

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So will beispielsweise eine Mutter das Klavierspiel erlernen, um ihre Geige spielende Tochter am Klavier begleiten zu können, eine Studentin auf der Querflöte improvisieren, um ihre Gruppenmitglieder bei Tai-Chi begleiten zu können, ein Angestellter sein Violinspiel wieder auffrischen, um in einem Salonorchester mitspielen zu können, und ein Pizzeriabesitzer einige Gitarrengriffe und Begleitmuster lernen, um seinen Gästen neapolitanische Volkslieder vortragen zu können. Die unterschiedlichsten Erwartungen und Wünsche, die Erwachsene mit dem Erlernen eines Instruments verbinden, korrelieren positiv mit den unterschiedlichsten Motiven, ein Instrument spielen zu wollen.

 

Motivation zum Instrumentalspiel

Eine 1988 durchgeführte Umfrage des VDMK bei Privatmusiklehrern ergab, dass bei einem hohen Prozentsatz der Erwachsenen, die Motivation für das Instrumentalspiel aus der Vorliebe für bestimmte Stilrichtungen (60,6%) und aus der Identifikation mit Interpreten (34%) resultiert. Das bestätigt die oben gemachte Feststellung, dass die Medien den Wunsch nach musikalischer Eigentätigkeit wecken. Die Stimulierung durch die Medien bringt aber auch mit sich, dass die Erwachsenen ganz konkrete auditive und visuelle Vorstellungen von ihrer musikalischen Eigentätigkeit haben und die Ergebnisse der Tätigkeit be-Wust oder unbewusst an ihnen messen.

Der Erwachsene erwartet vom Lehrer, dass er ihm dabei hilft, seine Vorstellung von musikalischer Tätigkeit am Instrument umsetzen zu können. „Die Bestätigung des Selbstbildes als Motivationsanteil zum aktiven Umgang mit Musik ist ein gemeinsamer Faktor musikandragogischer Zielgruppen. Gerade im Erwachsenenunterricht ist es daher wichtig, die Vorliebe des Einzelnen für bestimmte Musikrichtungen und seine Identifikation mit vermittelten Inhalten wertfrei zu betrachten, da jeder Gehalt von Musik, ob textlich oder musikalisch vermittelt, durch Identifikation zu psychologischen Wirklichkeit des einzelnen wird“ (Heider 1986).

Diese wertneutrale Betrachtungsweise verlangt manchmal vom Lehrer ein hohes Maß an Toleranz, denn er sollte den erwachsenen Schüler selbst dann ernst nehmen, wenn er die von ihm gewünschte Musik ablehnt. Solche Konflikte sind dann vorprogrammiert, wenn beispielsweise der kunstmusikorientierte Lehrer „halbherzig“ einen popularmusikinteressierten Erwachsenen unterrichtet. Ein Mehr an Toleranz entsteht, wenn der Lehrer die Hinwendung des Erwachsenen zur musikalischen Aktivität als „psychologischen Schritt“ des Einzelnen begreift, nämlich als Schritt vom konsumorientierten Verhalten zum handlungsorientierten Umgang mit Musik.

Das Ernstnehmen und die Toleranz des Lehrers gegenüber der „musikalischen Identität“ des erwachse-en Schülers schließt natürlich auch ein, Alternativen der Begegnung mit Musik aufzuzeigen und Ziele daraufhin zu entwerfen. Dadurch werden zwei wünschenswerte Wege ermöglicht: Entweder beendet der Schüler den Unterricht dann, wenn er die Vorstellung von seiner Eigentätigkeit eingelöst sieht, oder er setzt sich neue Ziele und lässt sich vom Lehrer weiterführen.

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Unterrichtsmethoden und Ausbildung der Instrumentallehrer

Die Frage nach Unterrichtsmethoden mit Erwachsenen zeigt, dass viele Lehrer anhand von Instrumentalschulen und Spielheften unterrichten. Der größere Teil der Lehrer entwickelt aber auch selbst Übungen im Unterricht, die auf die Bedürfnisse der Erwachsenen ausgerichtet sind. Daraus folgt, dass selbst dann, wenn ein umfassenderes Repertoire an Schulen und Spielheften für Erwachsene zur Verfügung stünde, der Lehrer durch die unterschiedlichen Voraussetzungen und Erwartungen der Lernenden immer gefordert sein würde, flexibel auf individuelle musikalische Wünsche und technische Probleme zu reagieren und darauf abgestimmte Übungen zu entwickeln.

Dazu ist er jedoch nur in der Lage, wenn er selbst über vielfältige Erfahrungen, beispielsweise mit Spielmodellen ohne Noten, Improvisation, Gruppenmusizieren, meditativer Musik und rock-pop-jazz-bezogenen Spiel- und Improvisationsmodellen verfügt. Darüberhinaus sollte der Lehrer im Unterricht mit Erwachsenen fähig sein, „sich in die Lebenssituation und die individuellen Schwierigkeiten von Spät-Lernenden einfühlen zu können, und bereit sein, Ziele seiner instrumentalpädagogischen Arbeit aus diesen abzuleiten und nicht als „Abstrakte Norm“ zu verfolgen“ (Grimmer 89).

Viele Lehrer, die Erwachsene unterrichten, fühlen sich durch ihre Ausbildung nicht ausreichend auf diesen Unterricht vorbereitet. Ihrer Meinung nach fehlen einerseits Veranstaltungen, die sich mit den physischen und psychischen Prädispositionen Erwachsener und einer daran abgeleiteten Didaktik und Methodik des Instrumentalunterrichts befassen. Andererseits würden kreative Umgehensweisen mit dem Instrument in der Ausbildung zu wenig berücksichtigt, beispielsweise mit Hilfe von Spielmodellen ohne Noten, Improvisation, freiem Musizieren in der Gruppe, meditativen Spielformen, Musik anderer Kulturen und schöpferischem Umgang mit Musiklehre- und Gehörbildungsinhalten am Instrument.

Dagegen orientiere sich die Instrumentaldidaktik besonders bei Tasten- und Streichinstrumenten immer noch ausschließlich am romantischen Virtuosenideal und an der Reproduktion komponierter Stücke. Da sich viele Lehrer nicht ausreichend für den Erwachsenenunterricht ausgebildet sehen, stehen sie diesem neuen „Schülerpotential“ eher ablehnend und zurückhaltend gegenüber.

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Sie begründen ihre Ressentiments beispielsweise damit, dass es kaum Fortbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich gebe und wenig Unterrichtsmaterial zur Verfügung stehe. Ihre eigene Ausbildung, die im wesentlichen aus einer rudimentären Virtuosenausbildung bestehe, befähige sie nicht, flexibel auf die vielfältigen Wünsche und Erwartungen Erwachsener reagieren zu können.

 

Außerdem mangele es ihnen an Kenntnissen über die spezifischen psychischen und physischen Bedingungen Erwachsener und den darauf abgestimmten pädagogischen Konzepten. Hier könnte die Weiterentwicklung von Theorien zu Wahrnehmungsverarbeitung bei Erwachsenen Abhilfe schaffen. Diese Theorien zeigen deutliche Unterschiede zur Wahrnehmungsverarbeitung bei Kindern und könnten – durch Systematisierung und Differenzierung – durchaus hilfreich für die Entwicklung einer Instrumentaldikaktik für Erwachsene sein.

  • Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung bei Erwachsenen
  • Wahrnehmungsverarbeitung als Korrelate zweier interagierender Hirn-hemisphären
  • Wahrnehmungsverarbeitung unter Berücksichtigung von epistemischen und heuristischen Denkstrukturen
  • Wahrnehmungsverarbeitung im Hinblick auf Zielbildung und Aufmerksamkeit
  • Hemisphärenspezialisierung und Instrumentalspiel

Erkenntnisse der Gehirnforschung weisen darauf hin, daß zwei unterschiedliche Denkweisen (intellektuell-intuitiv) biologisch-funktional in den beiden Informations-verarbeitungssystemen der beiden Hirnhemisphären begründet sind. Diese Theorien basieren im wesentlichen auf Untersuchungsergebnissen von R. Sperry mit split-brain Patienten (Epileptiker, denen die Nervenverbindungen, die beide Hemisphären verbinden, durchtrennt wurden). Bei Untersuchungen mit diesen Patienten konnte Sperry entdecken, daß die Verarbeitung unterschiedlicher geistiger Leistungen funktional auf beide Hirnhälften verteilt ist.

So gilt als wissenschaftlich gesichert, daß die linke Hemisphäre für die Sprache zuständig ist, wichtiger noch, daß sie in Worten, die rechte dagegen in Bildern denkt. Bezüglich der bildhaften Auffassung ist die rechte Hemisphäre der linken überlegen, was insbesondere beim Ertasten von Mustern und beim Kopieren von Zeichnungen wirksam wird. Viele Forschungsergebnisse weisen darauf hin, daß die rechte Hemisphäre nicht nur beim Zeichnen der linken überlegen ist, sondern auch hinsichtlich vieler Komponenten musikalischer Informationsverarbei tung.

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Ergebnisse, die mittels dichotischem Hörtest gewonnen wurden, lassen darauf schließen, daß die rechte Hemisphäre dominant ist für langedächtnis, langunterscheidungsvermögen bzw. Klangvorstellung und zeitliches Empfinden musikalischer Abläufe. Dagegen scheinen Fähigkeiten, die mit Tonhöhenunterscheidung und Rhythmus im Zusammenhang stehen, eher in der linken Hemisphäre lateralisiert zu sein. Da die linke Hemisphäre für die Verbalisierung und die Codierung von auditiven und visuellen Wahrnehmungen zuständig ist, dominiert sie auch bei allen musikalischen Aufgaben, die mit Notenlesen und Notenschreiben im Zusammenhang stehen.

Aufgrund der Dominanz der rechten Hemisphäre bezüglich musikalischer Fähigkeiten wäre zu erwarten, daß sie beim Musikmachen die führende Rolle spielt. Dem steht aber die üblicherweise vorherrschende Dominanz der linken Hemisphäre beim Erwachsenen im Wege. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, daß die für die jeweilige Aufgabe geeignetere Hemisphäre deren Bearbeitung übernimmt, sondern meist ist es die Erziehung, die bestimmt, welche Hemisphäre dominiert.

Aufgrund unserer Erziehung und Sozialisierung, die vorwiegend die sprachlich-analytische Verarbeitungsweise fördert, übernimmt die linke Hemisphäre – besonders beim Erwachsenen – oft auch die Verarbeitung von ihr nicht gemäßen Aufgaben, etwa beim Zeichnen oder Musizieren.

 

Ein Instrumentalunterricht, der im wesentlichen über das Abspielen von Noten und anhand kognitiver Lernprozesse vermittelt wird, lädt die linke Hemisphäre geradezu ein, die Führung zu übernehmen. Ein Klavierspiel unter Dominanz der linken Hemisphäre bewirkt aber zwei elementare Defizite:

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  • Es klingt mechanisch und unmusikalisch und vermittelt den Eindruck, als liefe es ohne innere Beteiligung des Spielers ab.
  • Ein Zustand, in dem Klavierspielen als entspannendes Tun erfahren wird, ist nicht zu erreichen.

Da diese Defizite beim Spielen unter Kontrolle der rechten Hemisphäre nicht auftreten, ist es notwendig, methodische Strategien zu entwickeln, die dieser Hemisphäre den Zugang zur musikalischen Informationsverarbeitung verschaffen. Den Weg dazu weist uns die Rückbesinnung auf die elementarste Form des Umgehens mit Musik: zuhören, Gehörtes nachsingen oder nachspielen, „in sich“ hineinhören und versuchen, das Gehörte auf dem Instrument darzustellen, ohne auch nur in Gedanken das musikalische Geschehen symbolisieren zu wollen.

Mit Hilfe dieser Umgehensweisen am Instrument und elementaren Improvisationsübungen ohne Noten gelangen die Erwachsenen bald zu einem Klavierspiel unter Dominanz der rechten Hemisphäre. Erst nachdem genügend Erfahrungen beim Klaverspielen unter Dominanz der rechten Hemisphäre gemacht wurden, kann auch die Notation eingeführt werden: Nun sind die Lernenden in der Lage, die Notation mit Hilfe des Klangvorstellungsvermögens zu „beleben“, und trotz des Spielens nach Noten besteht keine Gefahr mehr, daß allein die linke Hemisphäre die Kontrolle übernimmt.

Der Überbetonung der Kontrolle durch die linke Hemisphäre im herkömmlichen Klavierunterricht soll nicht die Überbetonung unter Kontrolle der rechten Hemisphäre entgegengesetzt werden. Beide Informationsverarbeitungssysteme sollen trainiert und gestärkt werden, die ihnen gemäßen Aufgaben zu bearbeiten und letzlich beim Klavierspiel synergistisch zusammenzuwirken.

 

Problemlösen als Informationsverarbeitung

Für eine Didaktik des Erwachsenenunterrichts bedeutsam, könnten auch Überlegungen von D. Dörner sein, die sich mit Problemlösungsstrategien Erwachsener befassen. Dörner nennt die geistige Ausstattung des Menschen, die ihn zum Problemlösen befähigt, kognitive Struktur.

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Sie setzt sich aus zwei Denkstrukturen zusammen, der epistemischen Struktur, ES genannt (von griechisch episteme = Wissen), und der heuristischen Struktur, HS genannt (Heurismen = Findeverfahren). „Die Ausprägung des ES bestimmt die Fähigkeit eines Individuums, innerhalb eines Realitätsbereichs „reproduktiv“ Aufgaben zu lösen, während die Ausprägung der HS entscheidend für die Fähigkeit zum „produktiven“ Denken ist“(Dörner).

Bei einer Aufgabenbewältigung, die mit Hilfe der ES vorgenommen wird, werden bekannte Schemata angewandt. Wenn aber die vorhandenen Schemata zur Aufgabenbewältigung nicht ausreichen, müssen mit Hilfe der HS neue heuristische Strategien entwickelt bzw. konstruiert werden. Daraus folgt, daß die Aktivierung von ES oder HS abhängig ist von der jeweiligen Art der Aufgabenstellung, d.h. inwieweit vertraute Handlungsmuster zur Lösung eines Problems ausreichen bzw. nicht ausreichen. Übertragen auf die Lösung musikalischer Aufgabenstellungen bedeutet dies, daß beispielsweise das reproduktive Erlernen eines Musikstückes mit bekannten Stilmerkmale vorwiegend epistemische Strukturen aktiviert.

 

Demgegenüber dürften bei der Erarbeitung eines noch unbekannten zeitgenössischen Werkes oder beim Improvisieren mit neuen modalen Mustern vorwiegend heuristische Denkstrukturen benötigt werden. Die Beziehung, die zwischen den beiden Intelligenzformen besteht, charakterisiert Dörner als konträr. Ein gut ausgeprägtes Wissen in einem Bereich (beispielsweise Handlungswissen als epistemische Struktur) macht heuristische Strukturen in diesem Bereich entbehrlich.

„Nimmt man an, daß die heuristische Struktur in ihrer Entwicklung und der Aufrechterhaltung ihrer Strukturiertheit von Übung abhängig ist, so könnte eine Fortentwicklung der epistemischen Intelligenz indirekt Ursache der Verkümmerung der heuristischen Intelligenz sein“ (Dörner). Daraus ist zu schließen, daß die Aktivierung der epistemischen Struktur nicht gleichermaßen auch heuristische Strategien anregt und entwickelt.

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Vielmehr scheint die einseitige Favorisierung einer Intelligenzform durch entsprechende Aufgaben die Verkümmerung der anderen nach sich zu ziehen. Vielleicht läßt sich mit Hilfe dieser Annahme das häufig zu beobachtende Phänomenerklären, daß Schüler und Studenten, deren Ausbildung sich lange Zeit einseitig an Kunstmusik orientiert hat, und die dann Improvisieren im Jazzbereich lernen wollen, oft die Problemfälle der Lehrer an Jazzschulen sind.

Der Versuch, die „verkümmerte“ musikalische „Intelligenzform“ des Improvisierens im nachhinein zu entwickeln, wird offensichtlich durch eine vorangegangene lange und einseitig auf Reproduktion ausgerichtete Ausbildung erschwert. Sollte sich diese Annahme bestätigen, hätte sie weitreichende Folgen für instrumentaldidaktische Überlegungen: Um auf lange Sicht den reproduktiven und produktiven Umgang mit Musik zu ermöglichen, müßten im Instrumentalunterricht von Anfang an beide „Intelligenzformen“ musikalischer Tätigkeit angeregt und trainiert werden, d. h. reproduktives und improvisatorisches Spielen sollten komplementär entwickelt werden.

 

Zielbildung und Aufmerksamkeit als Handlungsregulation

Neben den Überlegungen Dörners bieten sich auch handlungstheoretische Ansätze von W. Volpert für einen Transfer auf die musikalische Wahrmehmungsverarbeitung an. Er entwickelt ein neunstufiges Modell der Aufgabenkomplexität, das durch unterschiedliche Zielbildungsaspekte von „geschlossen“ bis „offen“ strukturiert ist. Für die ersten sechs Stufen des Modells ist charakteristisch, „daß der Anfangsund Endzustand, als Start und Ziel der Handlung, genau definiert ist“ (Volpert).

Bei den weiteren Stufen ergeben sich neue Komplexitätsgrade durch die Offenheit des Anfangs- und Endzustands. Die Art der Zielbildung lenkt wiederum die Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte einer Aufgabe. Daraus folgt, daß auch die Aufmerksamkeit strukturierend auf die Art der Handlungs- bzw. Lösungsstrategien wirkt. Wenn beispielsweise beim Erlernen eines Klavierstückes die Aufmerksamkeit auf die formalen Strukturen des Stückes gelenkt wird, konzentrieren sich die Lösungsstrategien auf gedächtnismäßig repräsentiertes Wissen und auf Vergleichsakte.

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Wird beim gleichen Stück die Aufmerksamkeit auf den Stimmungsgehalt oder auf eine bildliche Übertragung gelenkt, werden eine Reihe fluktuierender Lösungsstrategien aktiviert, weil für die Lösung dieser Aufgabe unterschiedlichstes, auch außermusikalisches Material zu Verfügung steht. Auch Volperts Modell der Aufgabenkomplexität könnte für Überlegungen zur Instrumentaldidaktik bedeutsam sein. Um ein möglichst breites Spektrum an Zielbildung und Aufmerksamkeit anzuregen, müssen sowohl „geschlossene Aufgaben“ (Reproduktion von Musikstücken) als auch „offene Aufgaben“ (Improvisation und Komposition) in einem ausgewogenem Verhältnis gestellt werden.

 

Die hier sehr knapp gehaltenen Ausführungen zur Wahrnehmungsverarbeitung Erwachsener zeigen, daß alle Modelle durch den Aspekt einer Dichotomie von zwei unterschiedlichen Arten der Wahrnehmungsverarbeitung geprägt sind. Besonders bei Erwachsenen sind offensichtlich Lösungsstrategien stärker ausgeprägt, die die Anpassung an Alltagsaufgaben und arbeitstechnische Anforderungen gewährleisten.

Hierzu eignen sich in besonderem Maße die Arbeitsweise der linken Hemisphäre, epistemische Denkstrukturen und geschlossene Aufgaben, die auf ein klar abgegrenztes Ziel ausgerichtet sind. Diese im Alltag gebräuchlichen Lösungsstrategien sind aber für ein adäquates Erfassen und produktives Anwenden von komplexen musikalischen Gestalten nicht ausreichend.

Um einem Verharren auf standardisierten Lösungsstrategien entgegenzuwirken, sollten deswegen Übungen und Aufgaben entwickelt werden, die die rechte Hemisphäre, heuristische Denkstrukturen und komplex-schöpferische Lösungsstrategien aktivieren. Zur Entwicklung der Lernfähigkeit im Erwachsenenalter gibt es nach wie vor wenig gesicherte Erkenntnisse. Gesichert ist, daß sich die Kapazität der Aufmerksamkeit mit zunehmendem Alter verringert und die Reaktionszeiten und Antizipationszeiten länger werden.

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Die zurückgehende geistige und körperliche Schnelligkeit kann aber durch das Bilden größerer Handlungseinheiten sowie durch längere und bessere Antizipation kompensiert werden (Gellrich 1989). Die „Kristallisierte Intelligenz“, d.h. die Fähigkeit, Aufgaben im praktischen Alltag gut zu bewältigen, nimmt im Alter oft zu, wenn diese Fertigkeiten immer weiter trainiert und angewandt werden. Dagegen nimmt die „Fluide Intelligenz“, d.h. Fähigkeiten, die sich auf Problemlösen und Gedächtnisoperationen beziehen, im Alter deutlich ab.Erwachsene Anfänger

Für das Instrumentalspiel ist es von Bedeutung, ob eine musikalische Fertigkeit im Erwachsenenalter neu erworben werden muss oder an früher erlernte Fertigkeiten angeknüpft werden kann. Erlernt ein Erwachsener ein Instrument neu, braucht er wesentlich mehr Zeit und Energie als ein Wiederbeginner, und er wird in der Regel nicht dessen Fertigkeitsgrad erreichen.

Oft ist eine motorische Ungeübtheit zu beobachten, die häufig durch eine berufsbedingte Verfestigung des Muskelapparats verstärkt wird. Der Erwachsene kann aber solche Defizite kompensieren, wenn er an bestimmte andere Fertigkeiten anknüpfen kann, und sie auf das Instrumentalspiel transferiert. So haben es beispielsweise erwachsene Klavieranfänger leichter, „die in ihrem zurückliegenden Leben viel Schreibmaschine geschrieben haben. Sie können die beim Schreibmaschineschreiben beidhändig (!) trainierte Fertigkeit, die dritten, vierten und fünften Finger isoliert, geschwind und geschickt zu bewegen auf das Klavierspiel übertragen“ (Gellrich 1989).

Ein gewandter Tischtennisspieler wird sein Feingefühl für Handgelenksbewegungen beispielsweise erfolgreich auf das Klavier- oder Violinspiel übertragen können. Erwachsene, die gerne und oft tanzen, werden schneller Erfolgserlebnisse haben, wenn wie Gelegenheit erhalten, über ein ihnen bekanntes populäres rhythmisches Begleitpattern zu improvisieren.

Es lassen sich grundsätzlich schnellere Lernerfolge erzielen, wenn an frühere Erfahrungen oder Fertigkeiten angeknüpft werden kann. Da viele Erwachsene inihrer Jugendzeit keine musikalische Früherziehung genossen haben, kann es hilfreich sein, elementare Rhythmus- und Gesangsübungen einzuführen und das Gelernte auf das Instrument zu übertragen. Gerade für den erwachsenen Anfänger ist es wichtig, einen Einstieg ohne Noten zu finden und zunächst die Ohr-Hand-Koordination zu entwickeln. Sie ist auch die Voraussetzung, um zu einer inneren Klangvorstellung zu gelangen.

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Erwachsene Wiederanfänger

Bei Wiederanfängern kann sich das Anknüpfen an früher Erlerntes, was einer Rückerinnerung gleichkommt, positiv oder negativ auswirken. Waren die körperliche und die geistige Haltung des Kindes entspannt und sein Instrumentalspiel positiv besetzt, so wirkt sich das Anknüpfen an früher Erlerntes in der Regel günstig auf das Wiedererlernen aus.

Wurde aber das Instrumentalspiel wegen Konflikten mit den Eltern oder dem Lehrer abgebrochen, so können sich durch die Rückerinnerung wiederum Ängste, Hemmungen und Bewegungsblockierungen aufbauen. „Man hat dann nämlich zunächst wieder alle die „Probleme von damals“ auf dem Tisch. Und diese müssen zuerst in mühevoller Arbeit gelöst werden, bevor das eigentliche Weiterlernen beginnen kann (Gellrich 1989). In diesem Fall sollte der Lehrer versuchen, Übungen zu entwickeln, die sich ganz von den früheren Erfahrungen unterscheiden.

 

Überlegungen zur Didaktik

Leitlinie für die Entwicklung einer Instrumentaldidaktik für Erwachsene sollte deren Motivation zum Musiklernen sein. Zwei Aspekte scheinen hierbei eine wichtige Rolle zu spielen: „der Wunsch nach Aktivität in Verbindung mit Selbstbestätigung und selbstbestimmten Erfolgserlebnissen sowie die Pflege der Seele vom Ausleben der Gefühle bis hin zu nonverbaler Kommunikation“(Klüppelholz)

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Das Ideal des Virtuosen oder Solisten hat offensichtlich für die Motivation des Erwachsenen weniger Bedeutung. Demnach müssen für die Entwicklung einer Instrumentaldidaktik für Erwachsene neue Leitlinien formuliert werden, die sich an den Motiven, den Bedürfnissen und an der Wirklichkeit von Erwachsenen orientieren. N. Linke hat in einem anderen Zusammenhang solche Leitlinien entworfen. Sie können ohne Einschränkung auch als Maximen für den Instrumentalunterricht mit Erwachsenen gelten:

  • Weckung allgemeiner Ausdrucksfähigkeit
  • Schaffung von Situationen und Erfahrungsgelegenheiten
  • Anregung zur musikalischen Selbsttätigkeit in jeglicher Form
  • selbständige Erfindung musikalischer Gebilde
  • ins-Bewußtsein-Heben der produzierten Klanggebilde (u. a. Notation)
  • Erarbeitung klarer Vorstellungen bis zum Erkennen auch der kleinsten Einzelheiten musikalischer Klang-, Raum- und Zeitverhältnisse“ (Linke 1981)

 

Erwachsenen-Instrumentalunterricht am Beispiel Klavier / Referent: Prof. Dr. Herbert Wiedemann