Die hier sehr knapp gehaltenen Ausführungen zur Wahrnehmungsverarbeitung Erwachsener zeigen, daß alle Modelle durch den Aspekt einer Dichotomie von zwei unterschiedlichen Arten der Wahrnehmungsverarbeitung geprägt sind.

Besonders bei Erwachsenen sind offensichtlich Lösungsstrategien stärker ausgeprägt, die die Anpassung an Alltagsaufgaben und arbeitstechnische Anforderungen gewährleisten.

Hierzu eignen sich in besonderem Maße die Arbeitsweise der linken Hemisphäre, epistemische Denkstrukturen und geschlossene Aufgaben, die auf ein klar abgegrenztes Ziel ausgerichtet sind. Diese im Alltag gebräuchlichen Lösungsstrategien sind aber für ein adäquates Erfassen und produktives Anwenden von komplexen musikalischen Gestalten nicht ausreichend.

Um einem Verharren auf standardisierten Lösungsstrategien entgegenzuwirken, sollten deswegen Übungen und Aufgaben entwickelt werden, die die rechte Hemisphäre, heuristische Denkstrukturen und komplex-schöpferische Lösungsstrategien aktivieren.

Zur Entwicklung der Lernfähigkeit im Erwachsenenalter gibt es nach wie vor wenig gesicherte Erkenntnisse. Gesichert ist, daß sich die Kapazität der Aufmerksamkeit mit zunehmendem Alter verringert und die Reaktionszeiten und Antizipationszeiten länger werden.

Die zurückgehende geistige und körperliche Schnelligkeit kann aber durch das Bilden größerer Handlungseinheiten sowie durch längere und bessere Antizipation kompensiert werden (Gellrich 1989).

Die „Kristallisierte Intelligenz“, d.h. die Fähigkeit, Aufgaben im praktischen Alltag gut zu bewältigen, nimmt im Alter oft zu, wenn diese Fertigkeiten immer weiter trainiert und angewandt werden. Dagegen nimmt die „Fluide Intelligenz“, d.h. Fähigkeiten, die sich auf Problemlösen und Gedächtnisoperationen beziehen, im Alter deutlich ab.Erwachsene Anfänger

Für das Instrumentalspiel ist es von Bedeutung, ob eine musikalische Fertigkeit im Erwachsenenalter neu erworben werden muss oder an früher erlernte Fertigkeiten angeknüpft werden kann. Erlernt ein Erwachsener ein Instrument neu, braucht er wesentlich mehr Zeit und Energie als ein Wiederbeginner, und er wird in der Regel nicht dessen Fertigkeitsgrad erreichen.

Oft ist eine motorische Ungeübtheit zu beobachten, die häufig durch eine berufsbedingte Verfestigung des Muskelapparats verstärkt wird. Der Erwachsene kann aber solche Defizite kompensieren, wenn er an bestimmte andere Fertigkeiten anknüpfen kann, und sie auf das Instrumentalspiel transferiert.

So haben es beispielsweise erwachsene Klavieranfänger leichter, „die in ihrem zurückliegenden Leben viel Schreibmaschine geschrieben haben. Sie können die beim Schreibmaschineschreiben beidhändig (!) trainierte Fertigkeit, die dritten, vierten und fünften Finger isoliert, geschwind und geschickt zu bewegen auf das Klavierspiel übertragen“ (Gellrich 1989).

Ein gewandter Tischtennisspieler wird sein Feingefühl für Handgelenksbewegungen beispielsweise erfolgreich auf das Klavier- oder Violinspiel übertragen können. Erwachsene, die gerne und oft tanzen, werden schneller Erfolgserlebnisse haben, wenn wie Gelegenheit erhalten, über ein ihnen bekanntes populäres rhythmisches Begleitpattern zu improvisieren.

Es lassen sich grundsätzlich schnellere Lernerfolge erzielen, wenn an frühere Erfahrungen oder Fertigkeiten angeknüpft werden kann. Da viele Erwachsene inihrer Jugendzeit keine musikalische Früherziehung genossen haben, kann es hilfreich sein, elementare
Rhythmus- und Gesangsübungen einzuführen und das Gelernte auf das Instrument zu übertragen.

Gerade für den erwachsenen Anfänger ist es wichtig, einen Einstieg ohne Noten zu finden und zunächst die Ohr-Hand-Koordination zu entwickeln. Sie ist auch die Voraussetzung, um zu einer inneren Klangvorstellung zu gelangen.

 

Erwachsene Wiederanfänger

Bei Wiederanfängern kann sich das Anknüpfen an früher Erlerntes, was einer Rückerinnerung gleichkommt, positiv oder negativ auswirken. Waren die körperliche und die geistige Haltung des Kindes entspannt und sein Instrumentalspiel positiv besetzt, so wirkt sich das Anknüpfen an früher Erlerntes in der Regel günstig auf das Wiedererlernen aus.

Wurde aber das Instrumentalspiel wegen Konflikten mit den Eltern oder dem Lehrer abgebrochen, so können sich durch die Rückerinnerung wiederum Ängste, Hemmungen und Bewegungsblockierungen aufbauen.

„Man hat dann nämlich zunächst wieder alle die „Probleme von damals“ auf dem Tisch. Und diese müssen zuerst in mühevoller Arbeit gelöst werden, bevor das eigentliche Weiterlernen beginnen kann (Gellrich 1989). In diesem Fall sollte der Lehrer versuchen, Übungen zu entwickeln, die sich ganz von den früheren Erfahrungen unterscheiden.

 

Überlegungen zur Didaktik

Leitlinie für die Entwicklung einer Instrumentaldidaktik für Erwachsene sollte deren Motivation zum Musiklernen sein. Zwei Aspekte scheinen hierbei eine wichtige Rolle zu spielen: „der Wunsch nach Aktivität in Verbindung mit Selbstbestätigung und selbstbestimmten Erfolgserlebnissen sowie die Pflege der Seele vom Ausleben der Gefühle bis hin zu nonverbaler Kommunikation“(Klüppelholz)

Das Ideal des Virtuosen oder Solisten hat offensichtlich für die Motivation des Erwachsenen weniger Bedeutung. Demnach müssen für die Entwicklung einer Instrumentaldidaktik für Erwachsene neue Leitlinien formuliert werden, die sich an den Motiven, den Bedürfnissen und an der Wirklichkeit von Erwachsenen orientieren. N. Linke hat in einem anderen Zusammenhang solche Leitlinien entworfen. Sie können ohne Einschränkung auch als Maximen für den Instrumentalunterricht mit Erwachsenen gelten:

Weckung allgemeiner Ausdrucksfähigkeit
Schaffung von Situationen und Erfahrungsgelegenheiten
Anregung zur musikalischen Selbsttätigkeit in jeglicher Form
selbständige Erfindung musikalischer Gebilde
ins-Bewußtsein-Heben der produzierten Klanggebilde (u. a. Notation)
Erarbeitung klarer Vorstellungen bis zum Erkennen auch der kleinsten Einzelheiten musikalischer Klang-, Raum- und Zeitverhältnisse“ (Linke 1981)